Ein Blick ins Paradies

Der Regen klopft aufs Wohnwagendach… Aber er stört nicht, wird nicht mal wahrgenommen, denn Kopf und Herz haben Vanuatu ohnehin noch nicht verlassen. Zu stark waren die vielen neuen Eindrücke auf Efate und Tanna, um gleich wieder zum neuseeländische Alltag übergehen zu können. Da hilft nur eins: Alles nochmal in Ruhe durchträumen und ausführlich aufschreiben.

31. März: Es gibt Amarula im Flugzeug, unseren Lieblingslikör aus früheren Tagen, und wir bekommen sogar anstandslos einen zweiten ordentlich gefüllten Becher. Wenn das kein gutes Omen ist! Nebenher läuft in Dauerschleife ein wunderhübsch gemachtes Video über Vanuatus Highlights: türkisgrünes Wasser, helle Strände, fischreiche Riffs, Segelboote im Sonnenuntergang, üppig grüner Regenwald, frisch geerntetes Obst und Gemüse in Hülle und Fülle, Pferde im Wasser einer blauen Lagune, ein feuerspeiender Vulkan und fröhliche Menschen, zum Teil mit bunt bemalten Gesichtern. Ob wir das alles auch erleben werden? Beschwingt und voller Vorfreude hüpfen wir aus dem Flieger. Doch zunächst müssen wir im Flughafen durch die Passkontrolle, und das dauert, denn es gibt nur einen Officer – aber der ist überaus freundlich. Unser Hotel erweist sich als nette Anlage aus flachen Häusern mit blauen Türen, die um einen Innenhof mit Frühstückspavillon und Pool angeordnet sind. Wir haben kaum die Taschen abgelegt, da sind die Kinder schon am Planschen. Zum Abendessen wagen wir uns in die Stadt und landen in der schicken Lava Lounge (die das einzige edle Etablissement für die nächsten zwölf Tage bleiben wird), von der aus wir die Fische im Meer beobachten können.

1. April: Vor lauter neuer Eindrücke vergessen wir Aprilscherze zu machen. Auch Ostern nehmen wir zunächst eher am Rande wahr – aber wir haben ja schon gefeiert. Unser Plan ist heute, mit einem Mietauto die Insel zu umrunden. Valentin hätte wahnsinnig gerne einen kleinen Jeep, aber nachdem auch die dritte Autovermietung keinen zu bieten hat, sitzen wir schlussendlich in einem weißen japanischen Kleinwagen, den wir für die nächsten 24 Stunden nutzen dürfen. Nur ein paar Kilometer außerhalb von Port Vila entdecken wir an der Straße ein großes Schild mit Pferden im Wasser. Wir folgen dem Pfeil über eine schlaglochreiche Rumpelstraße, landen inmitten von Pferdeweiden und machen für den übernächsten Vormittag einen Ausflug klar. Zurück auf der Ringstraße (die einst von den Amerikanern im Zweiten Weltkrieg angelegt wurde) dauert es nur noch ein paar Minuten, bis das wirkliche Efate beginnt. Kleine Dörfer im Dschungel, teils aus Bambus, teils aus Wellblech, nur selten gemauert, Marktstände am Straßenrand, an denen Maniok, Kohl, Bananen und viele unbekannte Dinge angeboten werden und ständig Feuer qualmen, hin und wieder ein winzig kleines Tante-Emma-Lädchen. Wir passieren eine Attraktion namens Blue Lagoon – dort läuft der Parkplatz über. Klar, Kreuzfahrttouristen, heute Morgen ist ein riesiges Schiff angekommen und hat Tausende Besucher auf die kleine Insel gespuckt. Diesen Programmpunkt heben wir uns also für den nächsten Morgen auf. Quasi ums Eck liegt der Eton Beach, auch sehr schön und voller fröhlich badender Einheimischer, da gesellen wir uns dazu! Was mich persönlich sehr beeindruckt ist ein Ostergottesdienst, den ein kleines Grüppchen in einer der Strandhütten abhält. Zwei Männer spielen Gitarre, ein Alter predigt, doch Musik ist das bestimmende Gestaltungselement. Eine tiefgehende, herzliche Frömmigkeit liegt in der Luft und erzeugt echte Osterstimmung. Als wir später Hunger bekommen, halten wir am Straßenrand. Drei Frauen verkaufen Fisch, Hühnchen und Maniokbeilage mit Kokosmilch, ein Gedicht! Nur leider nichts für die Kinder, die immer unleidlicher werden. Es mag und mag kein Lädchen kommen, hätten wir nur eine Packung Kekse oder Ähnliches dabei! Irgendwann finden wir doch einen Shop, der von der Größe her wohl ziemlich genau auf eine Europalette passen würde. Er hat ein paar Packungen Kekse, alles ist wieder gut. Zumal wir wenige Kilometer weiter auch noch eine Art Mini-Restaurant am Strand finden, in dem es Pommes gibt. Anschließend kündigt ein Schild eine Höhle an – warum nicht? Als wir parken, kommen zwei junge Kerle des Weges, um uns zu begrüßen und zu kassieren. Kajak oder zu Fuß? Wir entscheiden uns für die günstigere Variante, denn das Wasser in der Höhle soll flach und auch für Kinder unproblematisch sein. Ist es dann aber gar nicht, es wird schnell tief. Ich frage freundlich, aber bestimmt, nach dem Kajak und siehe da, Jochen darf sowohl die Kinder als auch mich ohne Aufpreis durch die beiden durchaus eindrucksvollen Gewölbe paddeln, an deren Ende unzählige Fledermäuse umherschwirren (wobei er die zweite Fahrt kurz hält, denn das Kajak hat einen Sprung und läuft voller Wasser). Etwas weiter, im Nordwesten der Insel, steigt die Ringstraße zunächst steil an und gibt schöne Ausblicke frei, bevor sie zum Meer hin abfällt. Dort unten sehen wir ein Feuer leuchten, das sich als Osterfeuer und Zentrum eines weiteren, größeren Gottesdienstes entpuppt. Auch hier bleiben wir eine Weile stehen und klatschen mit, um uns anschließend den Sonnenuntergang am benachbarten Mele Beach anzusehen. Was für ein reichhaltiger Tag! Bleibt eigentlich nur noch eine Aufgabe: Ab in einen Supermarkt und viele Kekspackungen kaufen!

2. April: Nach einem frühen Frühstück düsen wir mit ein paar Sightseeing-Umwegen zur Blue Lagoon. Als wir dort ankommen, haben wir noch gut zwei Stunden, bis wir zur Autovermietung zurück müssen. Ganz ohne Kreuzfahrer können wir die tief türkise Lagune mit ihrem dicken Tarzanseil ungestört genießen. Hier hätten wir‘s auch noch ein paar Stunden länger ausgehalten, aber das Auto… Müssen wir also im Hotelpool weiterbaden. Dann will ich aber endlich auf den Markt und den Handwerkermarkt von Port Vila! Die Markthalle ist voll mit ähnlichen, jeweils äußerst üppig beladenen Ständen, hinter denen meist Frauen sitzen oder liegen. Es gibt Gemüse aller Art, Kräuter, Kokosnüsse, hier und da ein Huhn. In einer niedrigeren Nachbarhalle reihen sich Garküchen aneinander, die uns noch viele leckere Abendessen bereiten werden… Wir schlendern an der neu gestalteten Waterfront weiter bis zum Stadtbadestrand. Hier könnten wir ein wenig schnorcheln. Doch die Kinder wollen unbedingt nochmal zum Mele Beach. Und man soll sie ja hin und wieder mitentscheiden lassen… So oder so, die Bodyboards brauchen wir in jedem Falls, ich gehe also zum Hotel zurück und hole sie, schnalle sie mir auf den Rucksack und sehe aus wie eine überdimensionierte Schildkröte. Ein gut gefüllter Kleinbus bringt uns zum Mele Beach, wo Jochen und die Kinder mit Boards, Taucherbrillen und Schnorcheln losziehen, um die Unterwasserwelt kennenzulernen. Die Freude währt nicht allzu lang, man muss weit raus, um wirklich etwas zu sehen, zu weit für den Geschmack von Antonia und Valentin. Sie dümpeln lieber am Strand herum, während ich auf Jochen warte, um auch los zu dürfen. Doch das Schnorcheln ist eine Enttäuschung, ich schwimme über viele tote Korallen, sehe nur hin und wieder ein paar Fischchen – und habe außerdem ziemliche Schmerzen. Denn im Wasser treiben unsichtbare Angreifer, vielleicht Quallen-Tentakeln, vielleicht fiese Kleinstlebewesen, die bei Berührung mit der Haut fürchterlich brennen und rote Punkte hinterlassen. Was uns alle aufheitert sind Schilder, die wir beim Gehen an einem Steg entdecken, auf Englisch und Bislama gehalten. Man erkennt sehr schön, dass die Landessprache Vanuatus zu 95 Prozent auf Englisch und ein klein wenig auf Französisch basiert!

3. April: Superpünktlich um neun Uhr werden wir zum Reiten abgeholt. Zunächst ist nicht klar, ob Valentin wirklich ein eigenes Pferd bekommen soll, doch er setzt sich durch – und macht es super. Eigentlich war ausgemacht, dass die Kinder geführt werden, aber mindestens die Hälfte der Zeit verzichten unsere beiden Guides darauf, und die Kids sind stolz wie Bolle, alleine durch die Prärie reiten zu dürfen. Die Pferde sind überaus gutmütig und trotten sicher seit Jahren den gleichen Weg, so dass ich ausnahmsweise schnell aufhöre mir Sorgen zu machen. Durch Buschland und ein Stück Regenwald, vorbei an Rinderherden und kleinen Hütten geht es zu einem Aussichtspunkt mit Blick auf eine große Lagune. Dort hinunter wollen wir! Unten angekommen ziehen wir uns um, führen die Pferde zum Lagunenstrand, steigen auf und schreiten langsam ins Wasser, bis der gesamte Pferderücken bedeckt ist – ein tolles Gefühl. Für den Nachmittag haben wir noch ein Highlight auf dem Programm: Jochen hat bei Airbnb eine besondere Unterkunft für die letzten vier Tage gefunden, ein Segelboot, das im kleinen Yachthafen von Port Vila ankert. Wir wollen es uns ansehen und treffen dafür Paul, den Besitzer, der uns im Beiboot auf die andere Seite der Bucht schippert. Dort liegt die 34-Fuß-Yacht „Amanda“, mit der seine norwegische Freundin Charlotte und er die halbe Welt umsegelt haben. Vor viereinhalb Jahren sind sie direkt nach dem Studium aufgebrochen, seit einem halben Jahr arbeiten sie als Volunteers in einer Schule auf Tanna, das Boot steht während der Sturmperiode zur Sicherheit im geschütztesten Hafen der Gegend und kann dort von Gästen bewohnt werden. Jochen, der vor 17 Jahren durch die Südsee gesegelt ist, bekommt vor Begeisterung weiche Knie. Es ist klar, wie wir uns entscheiden: Auch wenn das Boot recht klein und ein wenig müffelig ist, so ist es doch eine echte Yacht mit echtem Beiboot, verankert in einer echt schönen Ecke einer echten Südseeinsel. Bei der Rückfahrt in die Stadt nehmen wir Harold, den Kapitän eines anderen, größeren Segelboots mit, das vor einiger Zeit von Dieben geplündert wurde, halb versank und immer noch in einem erbärmlichen Zustand ist. Harold weiß, dass seine Cassiopeia eigentlich nicht zu retten ist, doch er segelt seit 30 Jahren auf ihr, ohne Motor, und hat deshalb eine ganz besondere Beziehung zu diesem Boot. Mit Tränen in den Augen malt er sich aus, wir er es eines Tages anzünden und mannlos aufs offene Meer segeln lassen wird. Tief beeindruckt entsteigen wir dem Dinghi und stürzen uns wieder in den banalen Alltag: Wir brauchen noch Proviant für Tanna.

4. April: Was machen wir nach dem Frühstück? Klar, baden im Pool, was sonst? Dann sortieren wir unser Gepäck für Tanna und lassen einen großen Packsack im Hotel – die Bodyboards werden wir auf dem Vulkan kaum brauchen… Der Inlandsflugbereich im Airport von Port Vila ist winzig, aber kein Vergleich zum White Grass Airport in Tanna, wo wir am frühen Nachmittag landen. Das Gepäck wird in einer Handkarre gezogen und auf einer Art Theke verteilt, unsere Tasche ist dabei! Vor dem Gebäude wartet tatsächlich ein Jeep auf uns, um uns zum Baumhaus am Fuß des Mount Yasur zu bringen, das wir nach ein paar netten E-Mails direkt beim Besitzer Thomas gebucht haben. Kurzfristig schließt sich uns Eberhard an, ein Zahnarzt in Rente mit einem Faible für Vulkane und Steine. Er hat noch keine Unterkunft, aber bei Thomas ist genügend Platz, kein Problem. Es dauert, bis wir aus dem Hauptort Lenakel raus sind, denn überall muss mit jemandem geredet oder irgendwer oder -was aufgeladen werden. Auch auf freier Strecke halten wir noch ein paarmal an Gemüseständen am Straßenrand, was wir super spannend finden… und im Endeffekt wird uns das Ganze in Form von tollen Abendessen zugute kommen. Am Ziel erwartet und Janet, die wohlgenährte Frau von Thomas und Mutter seiner sechs Kinder. Er selbst ist mit der jüngsten Tochter gerade in Port Vila. Zunächst scheint es, als wisse niemand von unserer Baumhaus-Buchung. Aber wir haben mit Thomas definitiv ausgemacht zwei Nächte darin zu schlafen und erst am dritten Tag in eine normale Hütte zu wechseln… Schließlich wird irgendetwas umorganisiert und wir dürfen tatsächlich in unsere zweistöckige Traum-Behausung in einem riesigen Banyan Tree ziehen! Es ist so cool da oben. Auch wenn man jedes Mal 51 Stufen hochsteigen muss. Als die Kinder spät in der Nacht endlich eingeschlafen sind, bewundern Jochen und ich von der oberen Terrasse aus noch lange den wild leuchtenden Mount Yasur.

5. April: Wir genießen unser Baumhaus und erkunden seine Umgebung. Die Kinder spielen im schwarzen Vulkansand, der überall den Boden bedeckt. Ich schlage mich durch die reichhaltige Flora, die das Gelände schmückt und schieße ein Blütenfoto nach dem anderen. Ein Trampelpfad führt durch Buschwerk und Bananenstauden ganz offensichtlich zum Wohnort unserer Gastgeber, denn die Mitarbeiter und Familienmitglieder verschwinden dort in schöner Regelmäßigkeit. Wir also hinterher, so ein Pfad muss erforscht werden! Wir landen mitten in einem winzigen Dörfchen, ein paar Ferkel und Hühner rennen vor uns davon, während uns alle Dorfbewohner freundlich begrüßen. Ein junger Mann kommt auf uns zu und stellt sich als Robert vor, Thomas‘ jüngerer Bruder. Er führt uns durch die Bambushütten mit Blätterdächern und erklärt, dass alles bis auf die Nägel (an deren Stelle früher Lianenseile genutzt wurden) aus der Natur kommt. An einer Stelle wird gerade ein neues Haus gebaut, die Grundstruktur aus gleichmäßig dicken Ästen steht bereits. An anderer Stelle zerfällt eine nicht mehr benötigte Hütte, sie wird der Natur zurückgeben. Robert führt uns sogar über den geheimen Nakamal, den Platz, an dem sich abends die Männer treffen, um zu singen und zu musizieren, zu spielen, zu diskutieren, Streitigkeiten zu schlichten, Unternehmungen zu planen, Geschichten auszutauschen und zu trinken. Zurück an unserem Baumhaus versuchen wir eine Kokosnuss zu sezieren, die wir unterwegs gefunden haben. Doch die festen Fasern, die sie umhüllen, erweisen sich als zu stark für mein Schweizer Messer. Deshalb probieren wir’s mit Runterwerfen, doch auch nach 51 Stufen gibt die Nuss nicht auf. Aber ein neues Spiel ist erfunden: Kokos-Kegeln. Die „Kugel“ muss auf dem Boden direkt unterhalb der Treppe ankommen, darf nicht vorher nach rechts oder links abhüpfen, gar nicht so einfach. Wir tragen Wettkämpfe aus, die Kinder malen sogar goldene Pokale. Dann gehen wir nochmal auf Wanderschaft, die „Hauptstraße“ (Sandpiste) entlang. Wir stoßen auf ein weiteres Dorf, in dem gerade ein Damen-Volleyballspiel stattfindet. Sehr professionell mit Schiedsrichter (der in Ermangelung einer Pfeife zwei Flipflops aneinander schlägt) und Spielstand-Notierer. Die Mädels spielen richtig gut, es macht Freude sich wie alle anderen ins Gras zu setzten und zuzuschauen. Und dann ist irgendwann vier Uhr nachmittags und wir dürfen rüber in den Eingangsbereich des Mount Yasur-Parks gehen. Heute wollen wir dem Vulkan in den glühenden Rachen sehen. Die Eintrittsgebühren sind enorm, über 70 Euro für Erwachsene, fast 50 für Kinder, aber der Feuerberg mit seiner Show lässt uns das ganz schnell wieder vergessen. Wir werden zunächst mit zwei traditionellen Tänzen und Blumenketten begrüßt, um dann mit dem Jeep auf höchst abenteuerlicher Strecke bis kurz unter den Gipfel gebracht zu werden. Die letzten Meter geht’s zu Fuß – und schon am ersten Aussichtspunkt werden wir mit einer dröhnenden Lavafontäne empfangen. Die Kinder… Angst? Nein, sie finden es cool. Wir gehen weiter am Kraterrand entlang und können immer besser direkt in die brodelnden Lavatöpfe sehen. Die Eruptionen sind faszinierend: Bei den besten fliegt die glühende Lava hunderte Meter hoch in die Luft und segelt wie in Zeitlupe zurück zum Boden, wo sie leuchtend liegen bleibt. Plötzlich kommt ein heftiger, schwefliger Wind auf, der massenweise Aschestückchen transportiert. Da ist es mit der Entspanntheit der Kinder schlagartig vorbei, sie bekommen Panik, Jochen bringt sie an eine windgeschützte Stelle, während ich mit der guten Kamera noch ein paar Bilder schieße. Zurück im Jeep sind Antonia und Valentin dann aber doch ganz stolz sich auf den Vulkan getraut zu haben. Unten an der Hauptstraße stolpern wir direkt in die nächste Überraschung: Wir folgen einer Mikrofonstimme und landen bei einem Boxkampf. Vier Pfosten, zwei Seile drum herum gespannt, darüber eine Neonröhre, ein weiß gekleideter Ringrichter, ein Paar blaue und ein Paar rote Boxhandschuhe, die von Kämpfer zu Kämpfer weitergereicht werden. So leicht lässt sich ein Event auf die Beine stellen, das die Massen begeistert. Und wie! Es ist unglaublich, wie die Zuschauer mitfiebern, rufen, lachen, fröhlich sind. Auch als wir im Baumhaus liegen, hören wir ihnen noch lange zu und freuen uns mit.

6. April: Auf einen Karton an der Wand der Frühstücksveranda sind ein paar Stichworte gekritzelt, die Hinweise geben, was man als Besucher hier unternehmen kann. Unter anderem wird eine Ancestors‘ Tour aufgeführt, die laut unserer Gastgeberin Janet nur zehn Minuten entfernt und auf Spendenbasis stattfindet. Klingt gut, sie meldet uns für elf Uhr an. Zuvor setzt sie sich mit uns in die Wiese, ausgerüstet mit einem Messer und einem Kokospalmwedel. Sie zeigt uns, wie die schönen, praktischen Körbe geflochten werden, in denen die Menschen hier ihr Gemüse transportieren und lagern. Ganz schön kompliziert, die Flechterei, Antonia und ich erweisen uns nicht gerade als Naturtalente, aber gemeinsam mit Janet kriegen wir’s hin. Sie bringt uns auch bei, wie man Gürtel, Armreifen und kleine Bälle aus den Palmblättern herstellt, so dass wir viele Schätze angesammelt haben, als wir schließlich zu unserer historischen Tour aufbrechen. Ein paar Jungs zeigen uns den Weg, wir warten zunächst vor einem gewaltigen Banyan Tree (diese Bäume, die sich aus Lianen bilden, die andere Bäume einwachsen und schließlich absterben lassen, gehören zu den größten Lebewesen der Erde). Unserer Baum hier erweist sich als Eingangsportal, wir schreiten hindurch und warten erneut. Und dann bleibt uns fast das Herz stehen. Hinter den Bäumen und Büschen springen Kannibalen-Krieger hervor, die sich mit Gebrüll, Knüppeln und Speeren auf uns zu stürzen drohen. Valentin verliert völlig die Nerven und auch wir anderen fürchten uns ordentlich, denn in ihren Blättergewändern waren die Männer so gut getarnt, dass wir keinen einzigen rechtzeitig entdeckt haben. Als sich nach einer Weile eine Stimme erhebt, verstummt das Kriegsgeheul, die Kerle verschwinden (vorläufig) wieder und ein einzelner rußbemalter Wilder heißt uns willkommen. Er erklärt uns, dass seine Kollegen nun den Häuptling über unseren Besuchswunsch informieren werden. Ein fein gefächertes Blatt vor seiner Hütte wird „Willkommen“ bedeuten, ein grob gefächertes Ablehnung. Doch zuvor dürfen wir einige Dinge aus früheren Zeiten lernen, etwa wie Fallen für Schweine und Hühner gebaut wurden, welche Blätter als Nahrungsmittel, Medizin oder auch – vielfach übereinander gelegt – als Transportsitz für gefesselte Gegner dienten. Als wir zum Eingangstor beim Häuptling kommen, steht da das falsche Blatt, die Krieger tauchen wieder auf, taxieren uns (und Valentin auf meinem Arm bekommt schon wieder Zustände). Doch dann spricht der Chief, das Blatt wird getauscht und wir dürfen in seine Hütte. Wir erfahren Geschichten von gesegneten Steinen, die er mit besonderen Kräften beispielsweise für den Bananenanbau versieht, um sie dann im entsprechenden Feld vergraben zu lassen. Auch die Kunst Feuer zu machen wird uns gezeigt, und wir bekommen Kaffee und gebratene Bananenstückchen. So weit geht die Gastfreundschaft am Ende, dass uns das Ganze Dorf ein Lied vorträgt. Wenn wir wieder in unserer Heimat auf der anderen Seite des großen Ozeans seien, sollten wir die kleine Insel Tanna in unserer Erinnerung behalten, singen sie. Und das werden wir. Der Song und die Art ihn vorzutragen gehen so zu Herzen, dass Jochen und mir die Tränen kommen. Zurück auf unserer Wiese vor dem Baumhaus lassen wir uns nochmal einen Palmwedel geben, machen Armbänder und Schwerter daraus und erregen damit die Neugier der einheimischen Kinder. Irgendwann spielt Antonia mit ihnen Ball, Jochen fängt sie, Valentin boxt und kabbelt sich mit ein paar Jungs, es wird ein richtig toller gemeinsamer Nachmittag. Abends gehe ich nochmal auf den Vulkan…

7. April: Janet fährt heute zur Kirche nach Port Resolution und nimmt uns mit, denn wir wollen das Örtchen, die Bucht und den Strand dort kennenlernen. Zunächst halten wir uns eine Weile am White Sand Beach auf, aber dort ist es fürchterlich windig. Deshalb lassen wir uns in die Bucht mit dem schwarzen Sand bringen. Ich laufe ein wenig am Strand entlang und entdecke unter einem Baum, hinter ein paar Ausleger-Kanus eine junge Frau, mit der ich ins Gespräch komme. Sie heißt Naomi, kommt gerade vom Garten zurück, hat den Korb voller Gemüse und macht eine Pause, bevor sie den steilen Hang hochsteigt. Sie möchte wissen, wo ich herkomme und erklärt, auch einen Deutschen zu kennen. Etwa Paul und dessen Freundin Charlotte? Ja, genau! Der Besitzer unseres Segelboots scheint hier gut bekannt zu sein. Der netten Unterhaltung folgt bald eine weitere: Wir gehen ins Dorf, um einen Kaffee zu trinken, landen im „Restaurant“ von Sarah, unterhalten uns über den Kaffee, den die Leute auf Tanna anbauen, aber selbst gar nicht trinken, über die Kinder, die Schule – und landen irgendwann auch wieder bei Paul, von dem Sarah schwärmt. Anschließend gräbt Jochen eine Anekdote seines ersten Besuchs in Port Resolution vor 17 Jahren aus. Damals gab es eine zahme Seekuh, mit der man schwimmen könnte, die aber kurz vor seiner Ankunft starb. Er hat auf dem Handy ein Bild des blumengeschmückten Skeletts und Sarah ist bei der Erinnerung ganz aus dem Häuschen. Auf einem weiteren Foto erkennt sie jedes einzelne der Kanu fahrenden Kinder und erzählt, was aus ihnen geworden ist. Schließlich gehen wir nochmal vor an den weißen Strand, genehmigen uns eine frische Kokosnuss zum Trinken, schlendern zurück zur Kirche und steigen wieder in den Jeep. Wie schon die Hinfahrt wird auch der Weg zurück ein unglaubliches, abenteuerliches Geschaukel auf der Pritsche des Pick-ups. Ständig müssen wir uns bücken, weil Äste in den Weg hängen. Dafür können wir aber vom Auto aus Blüten und Bananen pflücken! Für die acht Kilometer lange Strecke brauchen wir eine knappe Stunde – und es macht richtig Spaß. Gegen Abend geht Jochen nochmal auf den Vulkan (ab dem dritten Besuch ist’s kostenlos), ich lese den Kindern derweil unter dem Moskitonetz ein Buch vor. Das Abendessen mit Kartoffeln, Frühlingszwiebeln, Maniok und Hühnchen ist heute zum Abschied besonders üppig und lecker, Janet kocht einfach toll.

8. April: Ich kann ab halb vier Uhr nicht mehr schlafen, setzte mich auf die Treppe des Baumhauses und beobachte den Vulkan. Nach einiger Zeit fallen mir Lichtkegel von Taschenlampen auf. Stimmt, um vier Uhr gibt es eine Morgen-Fahrt auf den Mount Yasur! Kurz entschlossen schließe ich mich ihr an. Anfangs ist es toll, dann holt uns die Regenzeit ein. Aber der Vulkan ist selbst bei Sturm, Nebel und Platzregen noch ein cooles Erlebnis. Wegen des vielen Regens meint Janet beim Frühstück, wir sollten bald Richtung Flughafen aufbrechen, damit der Fluss, den wir furten müssen, nicht unpassierbar wird. In Lenakel suchen wir den einzigen Geldautomaten der Insel auf, denn wir haben einem Franzosen Geld geliehen, das er nun zurückgeben möchte. Ist aber nicht so einfach, der Automat streikt. Einzige Chance: Wir fahren weiter zum einzigen Luxusressort der Insel, wo eventuell Geld gewechselt wird. Dauert, funktioniert aber. Derweil sehen wir uns im Ressort um, das hübsch ist, aber eineinhalb Stunden Fahrzeit vom Mount Yasur entfernt. Am Flughafen verabschieden wir uns herzlich von Janet, die mitgekommen ist, um ihren Mann und ihre jüngste Tochter abzuholen. Zurück in Port Vila essen wir zur Abwechslung erstmal Pommes, Reis und Fisch (vor allem Valentin hat sich in Tanna fast nur von Nutellabrot ernährt und wird das braune Zeug wahrscheinlich nie mehr im Leben anrühren). Dann holen wir unsere eingelagerten Sachen im Hotel und machen uns auf zum Segelboot. Auf Deck der „Amanda“ lassen wir uns noch lange von der Abendsonne schaukeln, wobei Jochen eine Segelgeschichte nach der anderen erzählen muss…

9. April: Wir genießen unser Boot – doch leider ist das Wetter immer noch ziemlich regenzeitlich, so dass wir regelmäßig unter Deck verschwinden müssen. Mit dem Beiboot unternehmen wir kleine Spaßfahrten und fahren gegen Mittag rüber nach Port Vila zum Essen und Shoppen. Antonia braucht schon länger neue Crocs, genau genommen seit dem Hot Water Beach, an dem ihre alten unbedingt bleiben wollten. Heute finden wir sehr gut gemachte Kopien für 3,50 Euro, so dass Jochen gleich auch noch welche bekommt. Außerdem entscheiden sich die Kinder, statt eines Vanuatu-Shirts lieber einen Hut zu wollen, mein Gott, sieht das niedlich aus! Unser nächstes Ziel ist das Nationalmuseum von Vanuatu, das ein wenig Geschichte seit der Unabhängigkeit im Jahr 1980 sowie Alltags- und Kunstgegenstände zeigt. Weil es auf den 83 Inseln Vanuatus mehr als 130 Sprachen gibt, war eine universelle Verständigungsform nötig, die sich in Form von standardisierten, äußerst kunstvollen und komplexen Sandgemälden entwickelt hat. Die Spitze des Zeigefingers muss dafür weite, geschwungene Wege zurücklegen und irgendwann exakt wieder am Ausgangspunkt enden. Ein Museumsmitarbeiter zeigt uns die Kunst anhand eines Fisches – eindrucksvoll! Und dann kennt Jochen keine Gnade mehr mit mir, wir suchen ein Nakamal. Also einen jener abgeschotteten Versammlungsplätze, auf denen sich die Männer der Sippe abends treffen, um gemeinsam zu singen, zu spielen, Klatsch und Probleme zu besprechen – und vor allem zu trinken, bis sie Geister sehen. Und zwar Kava, das Nationalgetränk. Es wird aus der gleichnamigen Wurzel hergestellt, sieht aus wie Pfützenwasser nach einem größeren Regenfall und schmeckt viel scheußlicher, als man es sich mit normaler Fantasie ausmalen kann. Es ist gleichzeitig säuerlich, bitter und extrem erdig, Lippen und Zunge entwickeln schon nach dem ersten Schluck ein taubes Gefühl. Die Männer, die wir in dem für Touristen offenen Nakamal antreffen, in dem ich das Zeug probiere, trinken ihr Becherchen stets auf Ex, spülen mit Wasser nach und spucken danach trotzdem noch kräftig aus… Ob Prinz Charles genau sowas tatsächlich auch getrunken hat? Er war vor zwei Tagen zu Besuch in Port Vila (wo schon Tage zuvor wie wild die Botanik am Straßenrand gemäht wurde) und hat das große öffentliche Nakamal besucht, vor dem anschließend direkt eine Gedenktafel aufgestellt wurde – besser vorbereitet geht kaum!

10. April: Heute ist das Wetter deutlich besser. Beim Frühstück läuft ein Kreuzfahrtschiff in den Hafen ein, was bedeutet, dass es nur wenige Meter entfernt an uns vorbeituckert. An Land warten bereits sämtliche Taxis, Groß- und Kleinbusse der Insel auf ihren Einsatz. Als die „Voyager of the Seas“ ruhig vor Anker liegt, sehen wir uns den Stahlkoloss vom Dinghi aus genauer an und umrunden außerdem das vorgelagerte Inselchen Iririki. An der stadtabgewandten Seite ragen kleine Fähnchen aus dem Wasser, die sich als Markierungen für besonders schöne Schnorchelstellen erweisen. Also Taucherbrille auf und rein ins Wasser. Valentin legt sich aufs Bodyboard und genießt von dort aus das Fenster zur Unterwasserwelt. Korallen mit hellblauen Spitzen, dunkelblaue Riesenseesterne, Nemos (also Clownfische) in allen Größen, Papageienfische, ein Löwenfisch und jede Menge kleine bunte Riff-Fischlein bevölkern das unverschämt türkisfarbene Wasser. Irgendwann fahren wir weiter auf die andere Seite der Insel. Dort liegen noch immer fast ein Dutzend zerstörte Boote und Schiffe kreuz und quer im Uferbereich, die im März 2015 dem großen Zyklon „Pam“ zum Opfer gefallen sind – wie so einiges in Port Vila (wobei vieles inzwischen vorbildlich wiederaufgebaut ist). Die halb gesunkenen Wracks haben ihre ganz eigene Faszination. Das Wasser-Sightseeing geht gut, bis uns der Hunger übermannt. Also fahren wir mal wieder zu unserem Lieblings-Schnellrestaurant bei der Markthalle und nehmen diesmal auch den Tank vom Beiboot mit – die Tankstelle liegt auf dem Weg und das Dinghi soll ja auch nicht leiden…

11. April: Die Sonne knallt schon morgens aufs Deck. Als wir gerade die Müslis anrühren, kommt das nächste Kreuzfahrtschiff auf uns zu, die „Pacific Dawn“. Same procedure as yesterday. Nach ein wenig Glotzen und Bewundern starten wir unser eigenes Abenteuer: Heute umrunden wir die zweite kleine Insel hier, Ifira, deren Rückseite direkt zum offenen Pazifik blickt. Sie ist traumschön. Felsnadeln wechseln sich mit einsamen Stränden ab, die von Palmen und Regenwald gesäumt sind. Davor ist das Meer tiefer und noch klarer als im Zwischeninselbereich, in dem wir uns gestern aufgehalten haben. Doch den Kindern ist die ungeschütztere Lage unheimlich, und so schnorcheln hier nur die Großen. Um alle glücklich zu machen, kehren wir anschließend zur gemütlichen gestrigen Fischguckstelle zurück, machen dann eine Pause an Deck, erkunden später noch Ifira Island und fahren außerdem mit dem Dinghi so nahe an das Kreuzfahrtschiff heran, dass wir unter uns den riesigen Wulstbug bewundern können, der im Fahrtmodus die Wellen vor dem Schiff teilt. Abendessen gibt es wieder in Port Vila, wir probieren mal den philippinischen Imbiss aus. Dann gehen wir Souvenir-Shoppen: wunderschöne bunte Tücher mit Blumen, Palmen, Schildkröten und den Umrissen der Inseln drauf. Die Nacht ist so sternenklar wie keine bisher in Vanuatu, Jochen und ich liegen lange auf dem Deck unserer Amanda, starren in den Himmel, trinken ein wenig Rotwein, schmieden Zukunftspläne und freuen uns, dass alles so ist wie es ist.

12. April: Letzter Tag… Wir nutzen nochmal unser kleines Beiboot aus, ich fahre sogar ein paar Runden ganz alleine – wo, wenn nicht hier kann ich in Ruhe Motorbootfahren üben? Die Kinder machen abwechselnd Kopfsprünge von der Badeplattform und klettern durch die Dachluke in die vordere Schlafkoje, was für ein vielseitiger Spielplatz! Irgendwann kommt Charlotte, die Freundin von Paul, der uns das Boot vermietet hat. Sie hat gerade Besuch von ihrer Familie aus Norwegen und holt nur schnell ein paar Dinge, weil sie morgen zusammen nach Tanna fliegen werden. Wie gern würden wir nochmal mitkommen! Doch für uns heißt es Taschen packen, Taxi organisieren, letzte Stadtrundfahrt durch Port Vila, einchecken, Sicherheitskontrolle, Abschiedsbild vor dem Flieger. Wir betrachten von oben die Inseln, dann die Wolken, dann den Sonnenuntergang… und da dringt die Erkenntnis durch: Der im wörtlichen Sinne eindrucksvollste, besonderste, fremdländischste und dadurch irgendwie berührendste Teil unserer Weltreise ist gerade zu Ende gegangenen…

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